Vom 26. Juni bis zum 2. Juli 2011 starteten über 1.200 Radsportler aus 29 Nationen in Zweierteams zu Europas spektakulärstem Rennrad-Etappenrennen. Mit 917 Kilometern und 19.553 Höhenmetern über 22 Pässe stellte die TourTransalp höchste Ansprüche an die Kondition – in den 7 komprimierten Bergetappen mussten die Athleten mehr Höhenmeter bewältigen als die Radprofis in den 6 Hochgebirgsetappen der Tour de France in Alpen und Pyrenäen zusammen.
Paralympics-Sieger und Extremsportler Michael Teuber stellte heuer erstmals ein Transalp-Team auf die Beine und hatte mit Kerstin Brachtendorf Deutschlands stärkste Paracyclerin in sein von der Sparkasse Dachau unterstütztes Team geholt – mit dem Ziel, auch bei dieser Herausforderung zu bestehen, die persönlichen Grenzen zu testen und sich unter den besten der 96 Mixed-Teams zu behaupten. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass Teuber nach einer Querschnittlähmung nur über 60% der Beinmuskulatur verfügt und Kerstin Brachtendorf an einem Unterschenkel keinen Wadenmuskel hat.
Nach dem „Großen Start“ in Sonthofen ging das Team „Paralympic Challenge“ engagiert in die nervöse erste Etappe, doch Michael Teuber überzog entgegen aller guten Vorsätze und brach in aussichtsreicher Position liegend am letzen Pass ein. Dennoch schaffte es das Team, den Rückstand in Grenzen zu halten und startete mit Rang 14 in die Tour.
Nach dieser Erfahrung gingen die Paracycler die zweite Etappe ruhiger an, zumal 2.800 Höhenmeter auf dem Programm standen. An einer Verpflegungsstelle verloren sich Teuber und Brachtendorf aus den Augen, warteten gegenseitig aufeinander, verloren erneut Zeit und fielen auf den 15. Rang zurück.
Die Probleme hielten auch auf der dritten, mit 160 Km längsten Etappe, an: In der Startphase wurde das Team abgehängt und in einer Abfahrt fuhr Teuber hinter einem vorausfahrenden Teilnehmer in eine Sackgasse. Dennoch konnten sich Teuber und Brachtendorf mit einer guten Zeit auf Rang 13 wieder weiter vorne platzieren.
Dann stand die Königsetappe im Hochgebirge mit dem über 60 Kilometer langen Anstieg von Naturns (540m) zum Stilfser Joch (2757m) und insgesamt 3.572 Höhenmetern auf dem Programm. Teuber fuhr über den gesamten Anstieg ein gleichmäßig hohes Tempo, so dass viele Top-Ten-Teams hinter die Paracycler zurückfielen. Brachtendorf gab dann bei der langen Abfahrt das Tempo vor, bevor Teuber im zweiten Anstieg über weitere 1000 Höhenmeter wieder konstant schnell fuhr und ein weiteres Team überholte. Am Ende waren Teubers Kräfte aufgebraucht und seine stark fahrende Partnerin führte das Team sicher ins Ziel. Mit einem bemerkenswerten 6. Etappenrang hatten sich die Paracycler unter die Top Ten der Mixed-Wertung geschoben.
Doch die Probleme waren noch nicht zu Ende: Kerstin Brachtendorf hatte in der Höhenlage von Livigno kaum geschlafen und stand kurz vor der Aufgabe des Rennens. Bei Nieselregen und Kälte ging es mit viel Zeitverlust über zwei Hochgebirgspässe zum berüchtigten „Mortirolo“ mit Steigungsprozenten bis 20%. Dort ging es Brachtendorf wieder besser, so dass das Team am Ende der Etappe nur einen Platz verloren hatte. Die 6. Etappe verlief ähnlich: Nach schwachem Start verlor das Team „Paralympic Challenge“ in der zweiten Rennhälfte kaum mehr Zeit und rettete so den 12. Rang in der Mixed-Wertung.
Beim Start zum „Grande Finale“ ging es durch die engen Gassen von Kaltern Richtung Mendelpass. In der Starthektik verloren sich die Teampartner aus den Augen und kämpften sich dann als Solisten durch die letzte Etappe. An der aus Sicherheitsgründen vorgezogenen Zeitnahme wartete Teuber – die Zeit von Brachtendorf zählte und es war geschafft. Die Paracycler rollten gemeinsam die letzten flachen Kilometer ins Ziel in Arco unweit des Gardasees, wo sie Ihr Betreuerteam und zahlreiche Fans bereits erwarteten und sie Ihr „Finisher-Tricot“ ausgehändigt bekamen. Mit einer Fahrzeit von 33:53 Stunden und Rang 14 hatten das Team „Paralympic Challenge“ 82 Mixed-Teams hinter sich gelassen und nur 2:15 Stunden auf die Sieger verloren.
Kerstin Brachtendorf: „Die ersten Tage liefen erstaunlich gut, besser als ich dachte. Und ich habe Michael bewundert für seine Leistung und seinen Kampfgeist. An dem Morgen in Livigno konnte und wollte ich nicht an meine Grenzen gehen und wollte langsam starten, um überhaupt im Rennen zu bleiben. Ich habe schon viele Etappenrennen im Team bestritten, so dass ich genau wusste, wie wichtig es ist und dass man nicht gleich aufgibt. Ich bin ich froh, dass wir zu Ende gefahren sind.“
Michael Teuber: „Das Projekt war sehr lange geplant und gut vorbereitet. Dennoch ist vieles nicht optimal gelaufen. Ich war bei der Auftaktetappe zu euphorisch, was ich mit höllischen Krämpfen und einem Einbruch büßen musste. Kerstin hat mit ihrer Kraft die Situation gerettet und mich geschoben. Dann haben wir ein paar Fehler gemacht und Zeit und Platzierungen verschenkt. Auf der Königsetappe haben wir alles gegeben und sind mit gutem Teamwork – für mich sensationell - in die Top-Ten vorgestoßen. Dann bekam Kerstin Probleme und wir sind wieder zurückgefallen. Ich wollte meine Grenzen testen, musste leiden und Lehrgeld bezahlen, aber jetzt weiß ich, dass ich mit meinem Handicap auch bei einem so schweren Etappenrennen bestehen kann – das macht mich sehr zufrieden. Mit Training, Willen und Durchhaltevermögen ist fast alles möglich.”