Münchens Paralympics-Ikone Michael Teuber spricht in der Münchner Abendzeitung über seine Bronze-Medaille in Tokio, über seine Zukunft und den Para-Sport an sich: "Wir sind die 15 Prozent - eine Milliarde Menschen weltweit" Der 53-jährige Münchner holte bei Paralympischen Spielen bisher fünf Mal Gold und einmal Silber, bei den Spielen in Tokio fügte er noch einen Bronzene hinzu.

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AZ: Herr Teuber, willkommen daheim in München, wie sieht nach ein paar Tagen Abstand Ihre ganz persönliche Bilanz dieser Paralympischen Spiele in Tokio aus?
MICHAEL TEUBER: Es waren definitiv sehr emotionale und aufwühlende Spiele für mich. Es ging ja schon damit los, dass ich die deutsche Mannschaft zusammen mit Mareike Miller als Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier anführen durfte. Gibt es eine größere Ehre?

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Michael Teuber als Fahnenträger: "Dass ich jetzt dazugehöre, ist unglaublich"

Wohl kaum. Zumindest in meinen Augen nicht. Sein Land als Fahnenträger vertreten zu dürfen, ist das Nonplusultra. Das ist eine Ehre, von der die meisten Menschen, die meisten Sportler, nicht mal zu träumen wagen. Da läuft es einem eiskalt den Rücken rauf und runter. Wenn man sich anschaut, wer etwa bei Olympia Fahnenträger für Deutschland war, das sind absolute Vorbilder und Legenden. Dass ich jetzt dazugehöre, ist unglaublich. Vor allem, weil ich nicht immer pflegeleicht war. Dass der Verband sich entschieden hat, einen Athleten, wie ich es bin, der immer eine eigene Meinung hatte, der manchmal vielleicht ein bisschen aufmüpfig war und eben ein mündiger Sportler und Mensch ist, diese Ehre zukommen zu lassen, hat mich unglaublich gefreut.

AZ: Dann nach fünf Paralympics-Siegen die Bronzemedaille.
TEUBER: Klar, Gold ist mehr wert als Silber und Silber mehr als Bronze, aber für mich ist das ein wunderbarer Erfolg. Ich will nicht sagen, dass sich diese Bronze wie Gold anfühlt, aber ich bin, was die Leistung angeht, das wohl beste Rennen meines Lebens gefahren. Mir haben gerade einmal 5,3 Sekunden zu Gold gefehlt. Wäre das Rennen drei, vier Kilometer länger gegangen, hätte ich mir noch den Sieg geholt. Und das mit 53. Es hat mir gezeigt, dass ich immer noch mithalten kann.

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"Ich bin einfach Lebenssportler"

AZ: Sie sind 53, haben fünf Mal Gold geholt, waren jetzt Fahnenträger, haben zudem die Goldmedaille dem neuen Paralympics-Sieger Michail Astaschow überreicht, da drängt sich die Frage auf: War es das?
TEUBER:(lacht) Ich muss zugeben, dass ich vor den Spielen diesen Gedanken immer wieder mal im Kopf hatte. Aber die Ergebnisse jetzt haben mich nur darin bestärkt, weiterzumachen. Ich bin einfach Lebenssportler. Ich brauche den Sport. Für mich. Als Athlet. Aber auch als Mensch. Deswegen mache ich ja auch so Sachen, dass ich mit meiner Behinderung auf den Kilimandscharo gehe. Sport ist nichts, was ich halt so mache, sondern ist ein Teil meines Lebens, ein Teil von mir. Deswegen werde ich die nächste WM auf jeden Fall noch fahren, und natürlich schaut man mit einem Auge auch auf die nächsten Paralympischen Spiele, die 2024 in Paris stattfinden. Aber natürlich müssen die Ergebnisse stimmen. Ich bin keiner, der damit zufrieden sein wird, mit- und hinterherzufahren. Ich bin Leistungssportler - und ich will eben Leistung bringen.

AZ: Ihre persönliche Tokio-Bilanz fällt positiv aus, die des deutschen Teams enttäuschend. Nur 43 Medaillen, 14 weniger als noch 2016 - ernüchternd.
TEUBER: Man muss sich sicher einige grundlegende Fragen stellen und insgesamt muss man auf jeden Fall näher mit den Fachverbänden ran. Aber es ist offensichtlich, dass Länder wie China, die USA oder Großbritannien das Thema paralympischen Sport ganz anders vorantreiben. Das ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, denn das kostet natürlich viel Geld und der Topf, der verteilt werden kann - auch gerade nach den Milliarden-Ausgaben im Zusammenhang mit Corona - ist endlich. Und es ist eine Entwicklung, die nicht nur den Parasport betrifft, auch bei Olympia holt Deutschland nicht mehr im Ansatz die Medaillen wie früher. Nach der Wiedervereinigung ging es eigentlich stetig bergab.

AZ: 20.000 Euro als Prämie für eine Goldene sind auch nicht der Megaanreiz, dem Sport über Jahre alles unterzuordnen. In anderen Ländern hat man mit Gold fast ausgesorgt.
TEUBER: Das stimmt. Und man kann auch sicher fragen, ob es wirklich nötig ist, dass der Finanzminister dann noch auf die Prämie zugreift und Steuern einfordert, wenn jemand für Deutschland eine Medaille holt. Ich halte das nicht für das richtige Signal. Wobei man sagen muss, es hat sich viel getan für die paralympischen Sportler. Die Prämien sind das eine, aber es gibt jetzt schon Absicherungen über die Bundeswehr, die Polizei, es tut sich was. Sicher nicht so schnell, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat, als ich vor gut 20 Jahren in den Leistungssport gegangen bin. Die Mühlen mahlen langsam, aber immerhin mahlen sie.

"Die Undurchsichtigkeit der Wettkampfklassen ist ein Problem"

AZ: Ein Handicap im gesamten Para-Sport ist sicher die Vielzahl der Wettkampfklassen und die - für die breite Öffentlichkeit - Undurchschaubarkeit dieser Einteilungen.
TEUBER: Absolut, ich verstehe die Verwirrung in der Öffentlichkeit und ich kann Ihnen versichern, das ist auch unter uns Athleten immer wieder ein Thema, gerade wenn die Klassen neu definiert werden. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich das selber erfahren: Da wurde der Amerikaner Aaron Keith von den leichter Behinderten zu uns hereingestuft und der hat mir 2019 gleich den WM-Titel weggenommen. Natürlich ist man da sauer. Man schaut sich seine Kontrahenten gerade im Para-Sport genau an und dann weiß man, das passt mit der Behinderung in der Klasse - oder es passt eben nicht. Die Undurchsichtigkeit der Wettkampfklassen ist ein Problem, aber ich habe da keine einfache Lösung, dafür sind die Behinderungen zu komplex, zu unterschiedlich. Irgendwo muss man Grenzen ziehen und natürlich gibt es Härtefälle und manchmal Ungerechtigkeiten. Aber ich bin trotzdem froh, wie sehr sich die öffentliche Wahrnehmung im Para-Sport verändert hat. Und man muss sagen: Wir sind keine kleine Minderheit. In Tokio hieß es nicht umsonst: Wir sind die 15 Prozent! 15 Prozent der Weltbevölkerung haben auf die eine oder andere Art eine Behinderung. Manche sieht man gleich, andere nicht. Aber: 15 Prozent, das sind eine Milliarde Menschen weltweit! Wenn man ehrlich ist: Menschen, deren Gen-Pool zu 100 Prozent perfekt ist, die sind die Ausnahme, die große Minderheit.

"Was ich gar nicht mag, ist das Wort Behinderter"

AZ: Sie sprachen selber von Behinderungen. Gibt es eigentlich eine bessere Bezeichnung? Irgendwo schwingt in dem Ausdruck ja etwas Negatives mit.
TEUBER: Ein schwieriges Thema. Handicap klingt auch nicht besser als Behinderung. Was ich gar nicht mag, ist das Wort Behinderter, weil es die Behinderung, nicht den Menschen in den Vordergrund stellt. Deswegen mag ich auch die Bezeichnungen wie Behinderten-Verband oder Behinderten-Sport nicht. Einige plädieren ja für das Wort Variationen. Nur: Über jemand, der kein Bein hat, zu sagen, er ist eine Variation, finde ich auch komisch und nicht passend. Daher kann ich mit dem Ausdruck Mensch mit Behinderung gut leben. Manchmal muss man die Dinge einfach beim Namen nennen. Ich bin inkomplett querschnittsgelähmt, natürlich ist das eine Behinderung. Da muss man nicht darum herum reden. Ich habe genug damit zu kämpfen gehabt, mit der Behinderung zurechtzukommen.

AZ: Wie lange hat es bei Ihnen ganz persönlich gedauert, bis für Sie die Behinderung nicht mehr der Fokus war, sondern wieder das Leben an sich?
TEUBER: Ich würde sagen, etwa fünf Jahre. Bei einer Querschnittslähmung gibt es ja viele Aspekte, die das sehr schwer machen. Funktioniert die Blase? Kann man noch Kinder kriegen, ist man sozusagen, noch ein echter Kerl? Das sind alles Aspekte, die muss man auch erstmal im Kopf für sich verarbeiten. Und natürlich, wenn man 19 Jahre alt ist und nach einem Unfall plötzlich gelähmt, dann sieht man erst die Behinderung. Man hat ja selber diese negativen Assoziationen, es war ein Kampf. Körperlich, aber auch mental mit den neuen Umständen zurechtzukommen und positiv nach vorne zu schauen. Diese negativen Konnotationen zu durchbrechen, da kommt uns Para-Sportler in der Gesellschaft schon ein bisschen eine Vorbildfunktion zu. Jeder Nichtbehinderte, der uns zuschaut, sieht, wie wir trotz der Behinderungen Topleistungen bringen. Er sollte sich mal fragen, ob er das auch könnte. Nicht nur mit einer Behinderung zu leben, damit körperlich, mental und emotional zurechtzukommen, sondern auch Topleistungen zu bringen, die die meisten Nichtbehinderten nicht schaffen würden. Wenn man darüber nachdenkt, sollte dies Respekt hervorrufen. Das ist, was wir eigentlich nur einfordern: Respekt. Wir sind ein Teil der Gesellschaft, der Respekt verdient und Leistung bringt.

AZ: Die 15 Prozent.
TEUBER: Genau, die 15 Prozent.

 

Fotos: (c) Oliver Kremer

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